Demenz & die Chancen theatertherapeutischer Begleitung

THERAPIE IM ALTER

„Die häufigsten Störungsbilder, von denen man im Zusammenhang mit älteren Menschen spreche, seien demenzielle und depressive Erkrankungen. Auf der Basis eigener Erhebungen könne er ergänzend zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil älterer Menschen, insbesondere aus der Kriegsgeneration, an posttraumatischen Belastungsstörungen leide. Zudem würde der Anteil somatoformer Störungen auch aufgrund der häufigen komorbiden körperlichen Leiden im Alter unterschätzt.“ Prof. Dr. Andreas Maercker vom Psychologischen Institut der Universität Zürich

Seelische Verletzungen & Demenz

Ausschnitt aus ‚Fazit & Ausblick,‘ in: „Demenz & die Chancen theatertherapeutischer Begleitung – Ein Praxisbericht“ von Sonja Narr (2011)

„Wenn man sich zum Abschluss des beschriebenen theatertherapeutischen Prozesses die Frage stellen möchte, welche individuellen Faktoren neben den hirnorganischen dazu führen, dass im Alter eine Demenz eintritt, so könnte man folgende Untersuchungsergebnisse hinzuziehen: „Prof. Bauer führte als Arzt und Psychotherapeut Studien mit an Alzheimer erkrankten Menschen durch. Alle von ihm untersuchten Personen zeigten schwere seelische Kränkungen und Verletzungen, bei 67% schwere Vernachlässigung sowie Überforderungs- und Traumasituationen in der Kindheit.“

Was hat es mit diesen Kränkungen, Verletzungen und Überforderungs- und Traumasituationen auf sich?

„Was ist eine Traumatisierung? Eine Traumatisierung ist eine unvollständige Antwort des menschlichen Organismus auf überwältigende, lebensbedrohliche Ereignisse: Missbrauch, Vernachlässigung, Überforderung, Entwurzelung, Gewalt; Vergewaltigung, an einem selbst geschehen oder als Zeuge erlebt, kann zu nachhaltiger Traumatisierung führen. (…) In einer als sehr bedrohlich erlebten Situation stehen uns Menschen drei instinktive Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese sind im Stammhirn und Teilen des limbischen Systems als Überlebensstrategien verankert und wirken unter Ausschaltung des rationalen Denkens. Wir können standhalten, ggf. kämpfen, flüchten oder uns tot stellen. Das Trauma entsteht aus der dritten Reaktionsmöglichkeit. Wenn wir erkennen, dass weder Kämpfen noch Flüchten aussichtsreich ist, wird die im Stress aktivierte Energie nach innen gerichtet – und im Schock wie eingefroren. Dieses Einfrieren von Energie im Organismus ist gemeint mit „Traumatisierung als einer unvollständigen Antwort oder steckengebliebener Überlebensreaktion“. (…) Der zu zahlende Preis dieses Überlebensmodus ist eine Unterbrechung der integrierten Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung der Umgebung (wobei der eigene Körper als Außenwelt erfahren wird), der Identität.“

Wo aber ist hier die Verbindung? Was kann dies mit einer Demenz zu tun haben?

„Der innere Ausstieg ist als sogenannter „Verlust der Persönlichkeit“ das markanteste Element einer Demenz. Die Synchronizität der Aspekte des Bewusstseins: Denken, Wahrnehmen, Erinnern, Sprechen und Ich-Bewußtsein wird gestört, unterbrochen und geht letztendlich ganz verloren. Die im Trauma entstandene Spaltung der Persönlichkeit chronifiziert: Auf der einen Seite lockt das „dissoziierte Niemandsland“, endorphinversüsst, auf der anderen Seite bedrängt das verdrängte, existenziell bedrohliche seelische Leid – unaussprechliche Angst.“

Was bedeutet dies in Bezug auf die theatertherapeutische Begleitung von hochbetagten Menschen, Menschen mit Demenz und Menschen mit unheilbarer Erkrankung? Was in Bezug auf den Rest des verbleibenden Lebens? Auf „das schleichende Sterben des Bewusstseins“? Auf die Begegnung mit dem Tod selbst?

„An welchem Pol man auch mit der Arbeit beginnt, letztendlich sind körperliche, seelische und geistige Schritte zu gehen. (…) Sich auf den Weg zu begeben und erkannte Symptome zu bearbeiten, ist jedoch weit mehr als eine Krankheitsprophylaxe. Unterdrückte und gebundene Lebenskraft in die bewusste Verfügbarkeit zurück zu holen ist ein Akt der Befreiung und Erhöhung der persönlichen Lebensqualität.“

Und noch einen Schritt weiter gedacht: vielleicht ist es auch gerade und besonders zum Lebensende hin ein seelisches Grundbedürfnis des Menschen, das Loslassen und Abschied nehmen zu „üben“ und aktiv mitzugestalten?

Mit diesem Prozess einher geht der Abschied von Lebenskraft, von Gewohnheiten, Aktivitäten, von geliebten Menschen … Dazu ist es wichtig, innezuhalten, einen geschützten Ort und Rahmen zu haben, in dem dies möglich ist und damit nicht allein zu sein.

Haben wir nicht auch ganz selbstverständlich eine Hebamme an unserer Seite, die uns über die Schwelle ins Leben hilft? Wer aber begleitet uns heute über die Schwelle an unserem Lebensende?

Die Begleitung Sterbender ist eine uralte Aufgabe der christlichen Barmherzigkeit. Sie diente dazu, beizustehen, zu helfen, mit sich und den Angehörigen ins Reine zu kommen. Sie sollte eine Hilfe dabei sein, das Sterben zu leben, nicht zu verleugnen oder zu umgehen. In dieser Begleitung fehlen oft Worte, es sind manchmal Symbole, Rituale gefragt. Diese kann die theatertherapeutische Begleitung bieten.

Aus den Erfahrungen des Praxisfeldprojektes hat sich gezeigt, dass die Begleitung von hochbetagten Menschen und Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden, ein hohes Maß an eigener Persönlichkeitsentwicklung der Begleitenden (Angehörige, Pflegende, Therapeuten) bedarf, an Offenheit, sich einzubringen und nicht vor den eigenen biografischen Verletzungen zurückzuschrecken, an Sensibilität für die Bedürfnisse des Patienten, an persönlicher Authentizität des Begleiters und seiner Fähigkeit, seine eigenen Vorstellungen zurück zu nehmen. Dabei muss die Würde des Menschen das Maß der Dinge sein, die in der Begleitung sichtbar werden und geschehen wollen. Die Aufgabe des Begleiters ist es, dafür den entsprechenden Rahmen zu schaffen und diesen zu halten.“